++++Dies ist kein Rezept-Beitrag++++

Mein Wort zum Sonntag

Oft , und vielleicht ein bisschen ZU oft, hab ich in letzter Zeit die Worte „und das in diesem Alter“ gehört. Oft im meinem eigenen Zusammenhang, aber auch im Zusammenhang mit (m)einer Freundin, die mit 45 Jahren zu Zwillingen hochschwanger ist. Wahrscheinlich verbindet uns beide mehr als es im ersten Moment den Anschein haben mag, denn beide haben wir uns seit Jahren etwas herbeigesehnt, das wir nicht mehr für möglich gehalten haben.

Aber uns verbindet nicht nur, dass wir „in unserem hohen Alter“ unseren Wunsch ausleben, sondern auch das Dilemma, dass man – wenn man sich denn schon in UNSEREM Alter einem von der Gesellschaft nicht mehr als sinnvoll erachteten Wunsch hingibt – auf keinen Fall über seine Situation klagen darf. Niemals.

Genauso ging es mir schon vor 25 Jahren, als ich zu meinem dritten Kind schwanger war. Ich hab irgendwann aufgehört zu zählen, wieviele Menschen mir gegenüber meinten, dass „DAS“ passiert sein müsste, und die Frage, ob „wir keine anderen Hobbys hätten“, hab ich auch bald schlichtweg ignoriert, weil ich es schon beim ersten Hören nicht wirklich lustig fand. Dass das Leben mit drei kleinen Kindern und einem folglich fleißig arbeiten Ehemann nicht immer einfach war, ist klar, aber da es ein Wunschkind war, hatte ich damals jegliches Recht verwirkt, einfach mal zu „jammern“. Aber „jammern“ ist wichtig! (in Österreich nennen wir es „sudern“ 😉) Aus psychologischer Sicht ist es ein Entrümpeln der schlechten Gedanken, ein „Aufräumen im Kopf“, um wieder Platz für schöne Gedanken zu machen. Durch das „offen Aussprechen“ von Frust, relativiert sich das Ausgesprochene und man kann wieder viel positiver mit der eigenen Situation umgehen. Doch in der Gesellschaft ist es nur akzeptiert, wenn man sich dieser Situation nicht freiwillig hingegeben hat.

Und so haben meine Freundin und ich letztens wundervolle drei Tage miteinander verbracht, in denen sie über ihre ganzen Schwangerschaftswehwehchen (und das sind im letzten Drittel einer Schwangerschaft von Zwillingen sicher nicht wenige) jammern durfte, und ich über all die viele Arbeit, all die Sorgen und Fragezeichen in meinem Kopf meine Selbständigkeit betreffend. Und das hat uns beiden einfach wahnsinnig gut getan.

War es mein heimlicher Wunsch in den letzten 10 Jahren, mich irgendwann selbständig zu machen, meiner Kreativität freien Lauf lassen zu dürfen und nur mehr mir selber gegenüber Rechenschaft ablegen zu müssen, so war es ihr heiß ersehnter Wunsch der letzen Jahre, schwanger zu werden und Mutter sein zu dürfen. War es bei mir eigentlich nur der fehlende Mut zum alles entscheidenden Schritt, so war es bei ihr die Natur, die es einfach nicht passieren ließ. Und so stand sie vor knapp 9 Monaten mit ganz wenig Hoffnung vor ihrem ersten Versuch der künstlichen Befruchtung. Die Tage davor haben wir einige Male telefoniert und je weniger Hoffnung sie hatte, desto mehr Mut machte ich ihr.

Dass es tatsächlich geklappt hat, hat mich so wahnsinnig für sie gefreut, und dass es nun Zwillinge werden, passt einfach zu ihr wie A auf Eimer 😉, denn ich kenne sie als eine quirlige, querdenkende, mutige, kluge und taffe Chaosqueen. (Sorry, darling, you know, I love you! And thxs for the shooting of you wonderful twins-body)

Aber auch sie hat das Recht, sich unwohl und fett zu fühlen (was ich ihr mit dem tollen Babybauchshooting schnell ausgetrieben habe 😉) und die Schwangerschaft nicht immer toll zu finden 😉 Und sie hat auch das Recht, Angst vor der Zukunft zu haben, Angst davor, wie das mit Zwillingen wohl klappen wird, und ob sie das schaffen kann. Aber nichts von dem traut man sich offen auszusprechen, denn man hat es ja so gewollt.

„Du hast es ja selber so gewollt“ ist nun der dritte und letzte Teil meiner heutigen Gesellschaftskritik. Nur weil wir etwas selber wollten, dürfen wir die eigene Entscheidung auch mal verfluchen, sie in Frage stellen, auch wenn sie unwiderruflich ist. Gefühle sollen raus dürfen, ob gut oder schlecht. Und das erfordert Empathie von unserem Gegenüber. (Empathie bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Emotionen, Gedanken, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden.)

Niemand muss genauso handeln wie „sein Gegenüber“, oder es gut finden, aber wenn man jemanden mag oder liebt, sollte man versuchen, die aktuellen Gefühle des Gegenüber anzuerkennen und nachzuempfinden, sich in ihn hinein zu versetzen ohne mit weisen Worten der eigenen Wahrheit und der besseren Lösung für das Leben des anderen, wie mit einem spitzen Fingernagel in genau die Wunde zu stechen, die sowieso gerade schmerzt. Mit einfühlsamer Empathie sind Angst, Frust und Verzweiflung ob der eigenen Situation schnell wieder beiseite geschoben, denn die Sehnsucht, die hinter der Entscheidung oder der Erfüllung dieses Wunsches stand, ist immer noch gegenwärtig. Und wenn nicht, so kann man liebevoll daran erinnern 😉

Ich habe irgendwann begonnen, vor einer großen Entscheidung niederzuschreiben, WARUM ich diesen Weg gewählt habe, weil ich genau weiß, dass es nicht immer leicht sein wird, und ich irgendwann wieder an den Punkt komme, wo ich einfach nicht verstehen kann, dass ich das wirklich selber wollte 😉

Empathie, ist also meine sonntägliche Empfehlung für ein besseres Miteinander, mein Wunsch an die Menschheit.

Schönen Sonntagabend.

4 thoughts

  1. Liebe Claudia,
    du bringst die Sache wieder einmal genau auf den Punkt. Es ist verrückt, wenn man erklären muss, warum man etwas macht, das man selbst will. Und ja, sudern ist erlaubt, vor allem wenn man einen Grund hat. Es spielt absolut keine Rolle was andere darüber denken und wenn du die richtigen Menschen triffst, dann wird das auch kein Problem sein und den Rest vergiss einfach. Zumindest sehe und mache ich „alter Mann“ das so!😉
    Deinen Wunsch nach mehr Empathie kann ich also nur voll und ganz unterstützen und es würde der Menschheit in Zeiten wie diesen wirklich gut tun.

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    1. Vielen Dank, lieber Günther, für deine Worte. Ich habe das Gefühl, dass Männern das „vergiss was andere sagen“ eher in den Genen steckt als uns Frauen, darum beneide ich euch wirklich, aber ich werde immer besser 😉 und kann mir hier ja klammheimlich alles von der Seele schreiben 😉

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  2. Claudia, was für ein schöner und nachdenklicher Beitrag! Du hast ja so recht! Und ich dachte, dass sich unsere Gesellschaft in den letzten Jahren schon dahingehend verändert hat. Nun, das scheint dann doch nicht überall angekommen zu sein! 🤷🏻‍♀️
    Glückwunsch an Deine Freundin! Ich bin selber ein „spätes Kind“, meine Mutter war schon 40, als ich geboren wurde (was in den 60er Jahren wirklich alt und ziemlich ungewöhnlich war). Ich bin froh, dass sie mir das Leben geschenkt hat und ich glaube, dass ich meine Eltern ziemlich auf Trab und dadurch jung gehalten habe! 😁
    Und Glückwunsch an Dich zu diesem verrückten und mutigen Schritt! Du machst und träumst nicht nur! Wie toll ist das bitte?! Ich freu mich so für Dich und bin mit Dir ein bisschen aufgeregt. Und sollten alle Stricke reißen, hab ich jederzeit eine Kaffee- oder Futterspende für Dich! 😉💝😘

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    1. Liebe Oda, auch wenn man es oft nicht vermuten mag, bin ich ein sehr nachdenklich und oft sehr tiefsinniger Mensch. Viel zu oft hab ich darüber nachgedacht, was andere wohl denken, aber das hab ich die letzten beiden Jahre irgendwie abgelegt, oder ablegen müssen 😉 Dass du das Kind einer „alten“ Mutter bist, werde ich sofort an meine Freundin weiter geben, dann das Ergebnis ist einfach perfekt 💛🤣 Wenn alle Stricke reißen, dann hing hoffentlich nicht ich dran 😉 und steh bettelnd um Kaffee und Futter vor deiner Haustüre 💛 Vielen lieben Dank dafür 💛

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