Erholung oder BootCamp? …Schweigekloster oder Klassenfahrt?…

WARNHINWEIS: Dieser Beitrag kann Sarkasmus und Ironie enthalten. Der Anschein von Selbstmitleid ist ungewollt, Sach- und Kleiderspenden werden aber gerne entgegen genommen. Von Kranzspenden bitte ich abzusehen!

Nachdem ich bereits drei Rehas hinter mir habe, macht es mich immer leicht unrund, wenn vorher jemand zu mir sagt: „Gute Erholung“ – dann atme ich tief durch und erinnere mich daran, dass sie ja vielleicht gar nicht wissen, was da auf einen zukommt..

..nämlich mindestens vier bis sechs Therapieeinheiten pro Tag, jede möglichst am anderen Ende des Rehazentrums und jede in einer anderen Bekleidung. Also: sportlich mit geschlossenen Schuhen für Sport, bequem und warm für Entspannung, funktionell für Psychologie (Weste mit Taschen für viele Taschentücher wäre von Vorteil!!), Outdoorbekleidung für NordicWalking oder gar Badeanzug und Bademantel für Wassergymnastik (hier kommt erschwert hinzu, dass man die Zeit für das Duschen vorher und nachher auch noch einrechnen muss) Und dann kommt noch das ungewollte kognitive Training: für Massagen und Moor immer das passende Unterlagetuch mitnehmen, das man bei der ersten Einheit bekommt; Therapiebuch nie vergessen, weil jede Einheit vom Therapeuten abgezeichnet wird (falls Vergessen schnell zurück auf’s Zimmer, das dann bestimmt komplett am anderen Ende des Rehazentrums liegt – schon passiert und gut gemerkt) Zimmerchip NIE im Zimmer zurücklassen, tja; Patientenakte zur 2xwöchentlichen Facharztkontrolle beim Stützpunkt holen und wieder zurück bringen. Und dann natürlich noch genug trinken zwischendurch, die Essenszeiten aktuell PÜNKTLICHST einhalten und abends den Therapieplan für den nächsten Tag abholen. Von Duschen, der eigenen Hygiene, dem permanenten frrt-frrt (Händedesinfektion!) und dem täglichen Blutdruckmessen will ich gar nicht sprechen.

Also noch mal zurück zum Start: Gute Erholung…. sieht doch irgendwie anders aus. Im Grunde besteht der ganze Tag aus „Wecker am Handy oder deiner Uhr stellen“ (die innere Uhr geht meistens falsch, das solltest du gleich bleiben lassen), möglichst richtig stellen, wäre von Vorteil – Weg- und Umkleidezeit immer einrechnen um DANN entspannt die Pause zu genießen….ups jetzt hätt ich fast übersehen, dass ich um 11:30 Uhr zu QiGong muss…. es ist 11:27h

tik-tak – to be in time

An das eigene soziale Wohlbefinden musst du natürlich auch denken: Denn auf Reha gibt es drei verschiedene Typen von Patienten und mich..

gesamtTyp
45%sind froh, dass sie endlich jemanden gefunden haben, dem sie ihre ganze Lebens-und Krankengeschichte erzählen können UND eine neue Freundin UND jemanden, mit dem sie immer und gerne die ganze Freizeit, den Abend und die Pausen verbringen möchten – sie bitten auch sofort um deine Handynummer
30% sind zu alt, zu krank und zu unsicher – lösen in dir das Helfersyndrom aus – sie möchten dir dann ewig dankbar sein und auch deine Handynummer
14%sind der Meinung, dass sie auf Klassenfahrt sind. Alles dreht sich nur um „sex, drugs and Rock’n Roll“. Diese Typen finden sich sofort, sind laut beim Essen und am Gang, gehen jeden Abend fort bzw. haben aktuell einen guten Alkoholvorrat und benehmen sich ab dem zweiten Tag so, als hätten sie das Rehazentrum übernommen – die wollen zu meiner Erleichterung von mir meistens NICHT meine Handynummer!
10%sind auf den zweiten Blick wirklich nett, aber genauso zurückhaltend wie du – du merkst leider erst, dass man sich eigentlich ganz gut verstanden hätte, wenn eine von beiden dann schon wieder abreisen muss – oft vergisst man dann tatsächlich, Handynummern auszutauschen
1%ich (erinnere mich auf Reha immer an meinen Wunsch, dass ich doch mal in Schweigekloster wollte)
Daten aufgrund 10-jähriger persönlicher Recherche

Das bedeutet also, dass du, wenn du „ich“ bist, immer gut vorbereitet sein musst, um nicht der Empfänger von unnötigen und langwierigen Kranken- und Lebensberichten zu werden, denn du kannst es nicht vermeiden, mit anderen Mitinsassen am Gang auf den Therapiebeginn zu warten.

Du kannst also versuchen, immer extrem pünktlich zu erscheinen (sehr riskant, denn Unpünktlichkeit vom Patienten wird missbilligend zur Kenntnis genommen, die vom Therapeuten ist mit Sicherheit auf einen dringenden Notfall zurück zu führen), ODER über Kopfhörer Musik hören (du bist dann aber darauf angewiesen, dass jemand weiß, wer du bist und dich anstupst, wenn man dich aufruft) – du könntest die Kopfhörer natürlich auch nur alibimäßig im Ohr haben, was nur dann auffällt, wenn du dich plötzlich an einem doch interessanten Gespräch beteiligst, ODER – und dies ist meine bevorzugte Variante: Habe immer ein Buch in der Hand und lies konzentriert oder tu zumindest so (Gehe aber nicht davon aus, dass dieses 5min-Lesen einen Lesegenuss bereitet bzw. nimm dir nicht unbedingt den 1000Seiten-Schmöker mit 37 Hauptdarstellern an 7 verschiedenen Orten in drei verschiedenen Zeitzonen vor. Rechne dennoch damit, dass es die „ich rede trotzdem die ganze Zeit mit dir“-Typen gibt. Sei dir auf jeden Fall gewiss, dass du 99% derer in deinem Leben wahrscheinlich nie wieder triffst, dh du darfst eine Reha ruhig auch als psychologische Spielwiese betrachten, auf der du „nein“-Sagen lernst und auch mal aussprichst, was dich stört.

Der lieben „Cordula“ (you know, what I mean, man möchte ja nicht auffallen hier und das böse Wort mit „C“ in die Tastatur nehmen) habe ich es zu verdanken, dass meine aktuelle Reha direkt zwei Level übersprungen hat und ich nun mehr oder weniger in der Profiliga mitspiele, DENN:

Mundschutz, und zwar FFP2-Maske, ist grundsätzlich immer und überall Pflicht! Egal, ob du hechelnd am Laufband hängst oder allein auf weiter Flur in der Moorpackung liegst - Mundschutz ist Pflicht. Für dich heißt das nicht nur Pickel rund um den Mund, Ausschlag am Hals, permanent trockene Lippen und trockene Kehle, sondern auch UNBEDINGT immer daran zu denken, ihn nicht am Zimmer zu vergessen (hab ihn klugerweise jetzt schon an den Türgriff gehängt), denn sonst heißt es: REHA beenden!

Einzige Ausnahme:

Beim Essen sieht man seine Mitpatienten tatsächlich dann mal maskenfrei – natürlich in deutlichem Abstand, sodass Gespräche aufgrund der scheppernden Umgebungsgeräusche eher schwierig sind.

Wenn du immer Zimmer mindestens fünf Minuten lang vergisst, die Maske abzunehmen, dann bekommst du kurz Angst, dass sie angewachsen ist bzw. weißt ud dann, dass es Zeit wird, heimzufahren 😉 Denn eines möchte ich auf keinen Fall: mich an das Tragen von Mundschutzmasken gewöhnen!

Tja, so komm ich zum Fazit meiner Recherche: Eine Reha ist kein Kindergeburtstag, schließlich zahlt die PVA diese ja, damit dein Gesundheitszustand wieder hergestellt wird und du noch ganz ganz lange arbeiten kannst. (Eine Kur dient übrigens dazu, deine Gesundheit zu erhalten, damit du auch noch ganz ganz ganz lange arbeiten kannst)

Eine Reha ist aber auch kein Schweigekloster, da du immens viele Möglichkeiten hast zu kommunizieren, die du aktuell auch auf jeden Fall nutzt, denn cordulabedingt kannst und darfst du ja nirgends hin. Dein Handy ist dein bester Freund. Und spätestens bei der Therapie MUSST du ja reden. Also komme ich zu dem Fazit:

Eine Reha ist wie Pfadfinderlager für Erwachsene:

  • haufenweise neue Leute rund um dich, die alle deine Freunde werden könnten, wenn du denn wollen würdest
  • irgendwann hast du sicher Heimweh
  • jede Menge Sport, Spiel und Rätselaufgaben
  • Großküchen-Essen im Akkord, ohne Tischdecken und Schnick-Schnack
  • ganz klare Regeln, klare Ansagen, klare Zeitpläne und zwischendurch ein bißchen Freizeit
  • jeden Tag wartet mit dem Therapieplan eine neue Überraschung auf dich
  • UND: du machst jeden Tag bestimmt irgendeine GUTE TAT (und sei es auch mal nur für dich 💛)

3 thoughts

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